Meine Texte

  Viele Enttäuschungen bewegten mich
zu diesen Zeilen. Doch es gab auch
die tröstlichen Ausnahmen, die für
mich da waren.

Der Mensch bekam Arme und Beine,
um auf seine Mitmenschen zuzugehen
und ihnen die Hände zu reichen.
Doch was macht er?
Vor Menschen in Trauer, mit Krankheit und Leid läuft er fort.

Der Mensch wurde mit Mund und Sprache ausgestattet,
um wirkliche Gespräche zu führen
und um Fragen stellen zu können.
Doch was macht er?
Er spricht über das Wetter und Essen.

Der Mensch erhielt Ohren,
um auch die leisen Töne hören zu können.
Doch was macht er?
Er hört nicht genau zu, will vieles nicht hören.

Der Mensch bekam gute Augen,
um Leid und Elend, aber auch Unausgesprochenes zu sehen.
Doch was macht er?
Er sieht nicht hin, sieht weg, blickt lieber auf Erfreuliches.

Der Mensch wurde mit einem Gedächtnis ausgestattet,
um gute mit schlechten Zeiten zu vergleichen
und um ein verlässlicher Partner zu sein.
Doch was macht er?
Alle ihm unangenehmen Dinge vergisst er schnellstens,
verdrängt und sieht zur Seite.

Der Mensch erhielt die Fähigkeit zum Einfühlen,
um dem, der es nötig hat, eine Stütze und Hilfe sein zu können.
Doch was macht er?
Er lässt diese Fähigkeit verkümmern,
lässt sein Gegenüber allein in Not und Leid.

Doch es ist tröstlich zu wissen:
Es gibt Menschen, die ihre Möglichkeiten nutzen,
um anderen in ihrem Leid beizustehen.

     
  Hoffnungslose Worte, entstanden im
September 2004, mitten in schwerer
Depression.

Warum?

Warum jeden Tag aufstehen,
wenn ich gar nicht wissen will,
was der neue Tag mir bringen wird?

Warum nach freudigen Erlebnissen trachten,
wenn ich die Freude doch nicht spüren kann?

Warum Schritte in die Zukunft gehen,
wenn mir überhaupt nicht nach Schreiten zu Mute ist?

Warum wieder und wieder der Versuch mich mitzuteilen,
wenn es doch nur kurz Linderung bringt?

Warum immer wieder kämpfen,
wenn der Kämpfer bereits verloren hat?

Warum anderen zur Last fallen,
wenn es doch keinen Sinn macht?

Warum jeden Tag wieder beginnen,
wenn ich doch nicht am Beginn,
sondern am Ende stehe?

Fragen, auf die ich keine Antwort weiß.
Doch das ist auch eine Antwort!

     
  Im August 2001 wagte ich einen Rück-
blick auf die vergangenen Monate, auf
eine schwere Zeit.

Kraft

Viele gute Wünsche haben mich begleitet,
wurden mir persönlich übermittelt,
stehen noch heute nachzulesen auf den vielen Trauerkarten.
Immer wieder wurde mir Kraft gewünscht,
aber ich konnte nicht viel damit anfangen,
wusste nicht, wie nötig ich diese Kraft haben werde.

Wenn ich heute erneut diese Wünsche lese,
weiß ich die Zeilen umso mehr zu schätzen.
Meine Mitmenschen haben sicher an die ersten Wochen,
vielleicht Monate gedacht,
als sie mich mit ihren Wünschen bedachten.
Ob sie wohl auch daran dachten,
dass ich sie nach über einem Jahr immer noch nötig haben werde,
nötiger als je zuvor?

Die meisten werden es nicht gewusst haben,
konnten es nicht wissen,
ich wusste es ja auch nicht,
hatte diese Erfahrung noch nie machen müssen.
Noch nie zuvor hatte ich so deutlich das Gefühl
am Ende meiner Kräfte zu sein,
meine Ressourcen aufgebraucht zu haben.

Wenn ich darüber nachdenke,
für was alles ich meine Kraft gebraucht habe,
fallen mir Redewendungen ein, die auch auf mich passen:
Den Verlust verkraften,
das schwere Schicksal tragen,
den Verlust ertragen,
den Schmerz tragen.
Tragen, ein Vorgang aus dem täglichen Leben,
der Kraft benötigt und verbraucht.

Zwar hatte ich auch schon früher die Erfahrung gemacht,
dass nicht nur körperliche Tätigkeiten,
sondern auch Dinge, die sich im Kopf abspielen,
anstrengend sein können, Kraft benötigen.
Aber so deutlich hatte ich es noch nicht gespürt.
Zwar ahnte ich, dass Körper und Seele nah beieinander liegen,
aber so deutlich hatte ich es noch nie erlebt,
war noch nie so erschöpft von geistiger Arbeit,
von verkraften und tragen.

     
  Ein Jahr nach dem plötzlichen Tod
meines Mannes, im Sommer 2001,
entstanden diese traurigen Zeilen.
Damals war ich bereits depressiv,
schrieb meine Probleme jedoch der
Trauer zu.

Das Leben geht weiter

„Das Leben geht weiter“ bekam ich zu hören,
mit vorwurfsvoller Stimme.
Mich würde nichts interessieren,
ich würde immer so rumhängen,
schließlich gehe das Leben doch weiter.

Das Leben geht weiter
- scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein.
Ich habe aber gelernt, dass nur wenig im Leben selbstverständlich ist.

Früher konnte ich mir schwer,
nein ehrlich gesagt, überhaupt nicht vorstellen,
wie schlecht es Menschen gehen kann,
wie schwer das Leben sein kann.
Nun sehe ich das anders,
quäle mich durch jeden Tag.

Es werde wieder einmal hell um mich herum,
heißt es in einem Brief an mich.
Auch wenn es schwer fällt,
ich glaube daran,
vertraue dieser auf Erfahrung basierenden Aussage.

Das Bild der Dunkelheit um mich herum,
passender könnte es nicht sein.
Im Dunkeln fällt es schwer, sehr schwer,
nach vorne zu schauen,
bin ich auf mich allein gestellt,
horche in mich hinein,
lebe aus meiner Vergangenheit.
Die Welt um mich herum spielt keine Rolle,
ist unwichtig, verschwindet im Dunkeln.
Alles beherrschend sind meine Erinnerungen,
das Wissen darüber was war.

Wann wird es wieder hell um mich herum?
Wie hell wird es werden?
Fragen ohne Antwort, noch ohne Antwort.
Doch: Das Leben geht weiter.

     
  Weitere meiner Texte finden Sie in meinem Buch "Verdunkelte Seele".